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Im Krankenhaus sieht man es jeden Tag: Patienten, die gegen ihre heftigen Schmerzen Opioide verabreicht bekommen. Dass die Medikamente ursprünglich für die Schmerzbehandlung oder Narkose gedacht waren, hält die Leute jedoch nicht davon ab, sie für eigene Zwecke zu missbrauchen. Doch wie gefährlich ist es tatsächlich Opioide auf eigene Faust zu nehmen?

Egal, wie gut man sich informiert oder wie groß das fachkundige Wissen auch ist, die Medikamente bergen immer ein gewisses Risiko. Bei einer mit dem Arzt abgesprochenen Therapie mit Opioiden kommt es regulär nicht zu Schäden, auch nicht zu Suchtverhalten. Bei missbräuchlichem Konsum – ob wissentlich oder unbewusst – dafür umso mehr: „Der 57-jährige Mediziner hat einem Reiseunternehmer aus Bremen gegen einen Hexenschuss ein Fentanyl-Pflaster verabreicht. Der 46 Jahre alte Patient starb nach fünf Tagen an Sauerstoffmangel des Gehirns“, heißt es in einer Mitteilung im Deutschen Ärzteblatt aus dem Jahr 2013. Nur eines von vielen Beispielen, was eine falsche Anwendung von Opioiden anrichten kann.

Opioide oder Opiate

Will man sich mit den Gefahren von Opioiden auseinandersetzen, muss man sich zunächst über deren Wirkungsweise klar werden. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Opioiden und Opiaten. Opiate umfassen Substanzen, in denen Opium oder die in Opium vorhandenen Alkaloide enthalten sind, z.B. Morphin. Opioide dagegen sind generell morphinartig wirkende Substanzen.

Die Gelbe Liste Pharmaindex führt stets ein aktuelles Verzeichnis aller Medikamente und Wirkstoffe – einschließlich Opioide. Zu den gebräuchlichen Opioiden gehören unter anderem Buprenorphin, Codein, Heroin, Methadon, Tilidin, Tramadol, Morphin, Oxycodon und Fentanyl. Die jeweilige Wirkungsstärke wird anhand des Vergleichs zu Morphin mit seiner Wirkungsstärke „1“ gemessen. So liegt etwa Codein bei der Wirkungsstärke 0,1, während Fentanyl als stärkstes Mittel 100 bis 120 mal potenter als Morphin anschlägt.

Wirkung - Schmerzfreiheit und Sucht

Opiate und Opioide wirken auf das zentrale Nervensystem, wo auch körpereigene Opioide erzeugt werden. Endorphine werden in körperlichen Stress- oder Schmerzsituationen vermehrt ausgeschüttet und an spezifischen Opiatrezeptoren aktiv, was schmerzunterdrückend und euphorisierend wirkt. Nimmt man nun die Medikamente ein, werden die Opiatrezeptoren künstlich aktiviert und führen zu einer schmerzhemmenden Wirkung. 

Gleichzeitig wird über diese Rezeptoren aber auch jene euphorisierende und bewusstseinsverändernde Wirkung der Opiate und Opioide vermittelt, die für das starke suchterzeugende Potenzial dieser Substanzen verantwortlich ist, wie die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) erläutert. Die Freiheit von Schmerz kann also einhergehen mit der Gefahr einer Suchtentwicklung.

Mehr als 160.000 Opioidabhängige 
in Deutschland geschätzt

Der klischeehafte Gedanke, dass Junkies – auch Opioidabhängige – ausschließlich obdachlose, verwahrloste Penner sein müssen, die auf der Straße oder am Bahnhof herumhängen, gilt längst als überholt: Abhängige finden sich in jeder Gesellschaftsschicht – auch mit Anzug und Krawatte im Büro oder in der Umkleide von H&M. Laut dem Bundesministerium für Gesundheit gibt es schätzungsweise mehr als 166.000 Opioidabhängige in Deutschland. Bezogen auf die in Deutschland 2016 gemeldeten Einwohner von 15 bis 64 ergibt sich daraus eine Quote von 3,08 je 1.000 Einwohner, die mit Opioidabhängigkeit zu kämpfen haben.

„Im ganzen Körper hat sich eine Wärme ausgebreitet. Mein Körper hat sich schwer angefühlt und ich habe die Umgebung, die Geräusche, nur noch gedämpft wahrgenommen. Vor allem an Armen und Oberschenkeln ist ein Juckreiz aufgetreten, der zwar sehr nervig war, aber weiter nicht dramatisch“, erzählt der 25-jährige Student Jochen (richtiger Name dem Autor bekannt) von seiner experimentellen Phase mit Opioiden. Kratom, zermahlene Blätter des Kratombaums mit schmerzlindernder und aphrodisierender Wirkung, habe er als erstes ausprobiert – und auch am meisten konsumiert. Nebenbei habe er ein paar Mal Tilidin, Codein und ein paar Tabletten mit Tramadol ausprobiert. 

Die Sucht kontrollieren

Obwohl Leute in seinem Umfeld auch mit Opioiden experimentiert haben, gab es fürJochen keinerlei Gruppenzwang diese selbst zu nehmen: „Ich habe es aus Neugierde gemacht und beim ersten Mal auch nicht viel gespürt. Also habe ich es wiederholt genommen, weil ich wissen wollte, wie es wirken kann. Später habe ich eine zeitlang mit einer langwierigen Erkrankung gekämpft und Opioide genommen, um es erträglicher zu machen.“

Neugierde ist oftmals der Schalter, der die Abwärtsspirale in Gang setzt. Doch stimmt es keinesfalls, dass dies die ständige Regel darstellt: Oft genug gibt es Leute, die mit ihrem Konsum umgehen können und sich keine langfristigen Schäden zuziehen. Das letzte Mal, dass Jochen Opioide konsumiert hat, sei schon viele Monate her: „Ich sehe keinen Sinn darin, wieder welche zu nehmen. Man verpasst auch nichts, wenn man es nicht ausprobiert.“

Es gibt viele, die, wie Jochen, wieder mit dem Konsum aufhören können. Dann gibt es Leute, die zwar süchtig sind, aber ihr Leben auf die Reihe bekommen, denn ihre Sucht steht nicht im Mittelpunkt ihres Daseins. Sie haben einen Beruf, Freunde und Hobbys – trotz Opioidabhängigkeit.

Ein bekannteres Beispiel für einen Opoidabhängigen, dessen Sucht sich zum einzigen Lebensinhalt entwickelt, stellt die Protagonistin des Buches „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ dar. Christiane F. wird darin bereits als Jugendliche abhängig von Heroin und verbringt schon bald jeden Tag ihres Lebens damit, Drogen zu nehmen, sie zu beschaffen und mit Prostitution ihre Sucht zu finanzieren. Das Buch beschreibt auch die möglichen Entzugserscheinungen von Opioiden: Das Unwohlsein, das Schwitzen und Zittern, Krämpfe und Erbrechen, sowie Schmerzen im ganzen Körper.

Legale oder illegale Abhängigkeit

Laut DHS, der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V., können Opioide einen Abfall der Atemtätigkeit, Übelkeit und Erbrechen, schwere Verstopfung, Koliken und Pupillenverengung bewirken. Bei dauerhaftem Konsum kann es zur chronischen Vergiftung kommen, die hirnorganische Schäden hervorruft: Wahnideen, verminderte Denkfähigkeit, mangelndes Selbstvertrauen oder akut auftretende Psychosen können ausgelöst werden. Auch körperliche Folgeschäden können auftreten, etwa Magen-Darm-Störungen, Hautausschläge und Potenzstörungen.

Wie „Die Welt“ berichtet, ist die Zahl der an einer Opioid-Überdosis Verstorbenen in den vergangenen Jahren gestiegen. Das liege auch daran, dass Patienten von den Ärzten oft mehr Opioide verschrieben bekämen als notwendig sei und die übrig gebliebenen Medikamente oft an Freunde und Bekannte weitergereicht würden – allerdings nicht, um Schmerzen zu lindern, sondern um das berauschende Gefühl zu erleben, das Opioide auslösen können. Statt dem Aufkleben von Schmerzpflastern auf die Haut oder dem Schlucken von Tabletten würden abhängige Patienten die Pflaster auskochen, um den konzentrierten Wirkstoff freizusetzen. Tabletten würden zermahlen und durch die Nase gezogen, so dass der Wirkstoff nicht nach und nach abgegeben werde, sondern seine Wirkung sofort entfalte. Wenn ein abhängiger Patient jedoch keine Rezepte mehr bekomme, würde er auf illegale Quellen auf der Straße oder im Internet ausweichen. Wer demnach tatsächlich Opioide konsumieren will, findet auch einen Weg an sie heranzukommen – ob auf legale oder illegale Weise.

Helfende Opioide verbessern Lebensqualität

Wenn Opioide derart riskant sind, wieso werden sie dann überhaupt noch benutzt? Wenn ein Patient an sehr großen Schmerzen leidet, kann es oftmals vorkommen, dass außer den Opioiden kein anderes Medikament mehr ausreichend Wirkung erzielt, um die Situation erträglicher zu machen. Opioide sind demnach für viele Patienten eine Art letzter Rettungsanker. Dabei geht es in erster Linie aber nicht um Krebserkrankte, wie Unwissende oft denken, sondern meist um nicht tumorbedingte Schmerzen.

Der Einsatz von Opioiden führt auch in der Narkose zu einer größeren Patientensicherheit während der Allgemeinanästhesie, wie die Ärztekammer in einer Übersicht darstellt. Vor allem nachteilige Wirkungen für das Herz-Kreislauf-System werden dabei reduziert, denn dank der Opioide kann auf die früher verwendeten Barbiturate verzichtet werden.

Sind Opioide oder Alkohol gefährlicher?

Damit es kein unnötiges Risiko gibt und es nicht zu unerwünschten Wirkungen kommt, kontrollieren die Bundesopiumstelle und die Landesgesundheitsbehörden strikt die Ausgabe von Opioiden nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Demnach dürfen Ärzte diese Medikamente nur dann verschreiben, wenn ihre Anwendung am menschlichen oder tierischen Körper begründet ist und der beabsichtigte Zweck auf andere Weise nicht erreicht werden kann, wie auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte betont.

Doch es stellt sich die Frage, ob diese strengen Gesetze tatsächlich den gewünschten Effekt haben. Schließlich gibt es genug Opioidabhängige, die ihre Drogen nicht vom Arzt verschrieben bekommen. Wäre es da nicht sinnvoller den Reiz des Verbotenen zu mindern? Oder sollte man eher dafür sorgen, dass generell alle Substanzen derart streng kontrolliert werden? Betrachtet man unter anderem den (legalen) Konsum von Alkohol, wird schnell klar, dass dieser gesellschaftlich viel gefährlicher sein kann als die illegal konsumierten Opioide, wie auch ein Schreiben des Deutschen Krebsforschungszentrums (dkfz) zeigt: Ob kurz- oder langfristiger Konsum – Alkohol kann beim Konsumenten körperliche, psychische und soziale Schäden verursachen und durch Unfälle und Aggression andere Personen schädigen. Die Bundesärztekammer schreibt: „Nach Aussage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehen etwa sechs Prozent der Todesfälle in der Altersgruppe der unter 75-Jährigen im Zusammenhang mit Alkoholkonsum, der damit in Deutschland für etwa 42.000 Todesfälle im Jahr verantwortlich ist.“

Der falsche Umgang ist fatal

Die Opioide per se sind demnach nicht das Problem – sie können sogar in vielen Fällen hilfreich sein. Problematisch ist der missbräuchliche Umgang mit ihnen, der zu Suchtverhalten und Überdosen mit Todesfolge führen kann. Solange man sich an die ärztlichen Anordnungen hält, besteht kein allzu hohes Risiko. Hingegen auf eigene Faust Opioide zu konsumieren, kann äußerst fatal enden. Opioide sind offensichtlich sehr gefährlich, wenn man sie falsch einsetzt – und können die Lebensqualität von Menschen erheblich verbessern, wenn sie richtig genutzt werden.

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